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Von Hafenhunden und Tornados vor Tallinn

Es gibt wieder Neues von Taffi zu vermelden, wir haben es bis nach Finnland geschafft!

Die dritte Etappe begann in Riga, wo wir Rosa Gubitz an Bord nahmen, eine Freundin von Merle, die schon vorher mal ein Wochenende ins Yachtschulleben geschnuppert hatte. Ihr Empfang war etwas sanfter als Merles zwei Wochen zuvor, sie durfte sogar noch in Ruhe die Altstadt erkunden und am Montagmorgen mit uns den Großeinkauf erledigen. Danach eine kurze strategische Überlegung: Los, endlich wieder segeln und das herrliche Wetter nutzen (und dann aber in Kauf nehmen, den Starkwind-Dienstag in einem kleinen Hafenort zu verbringen) oder lieber die Zeit in Riga nutzen, wo es sicherlich noch länger etwas zu entdecken gegeben hätte? Es half nichts, es juckte uns in den Fingern, endlich wieder Segel zu setzen! Und so brachte uns ein viel zu kurzer Segeltag nach Skulte. Dort wurden wir am Steg sehr nett von einem Clubmitglied empfangen, die Hafengegebenheiten waren allerdings etwas gewöhnungsbedürftig: An Land kam man auf ein Fabrikgelände, von dem man ohne Schlüsselkarte nicht wieder herunterkam. Noch dazu gab es keine Toilette… Dafür allerdings ein Hafengeld von nur zehn Euro, und abends trafen wir auch den Hafenmeister, der uns seine Schlüsselkarte überließ. Den Dienstag sollten wir nun also in strömendem Regen hier verbringen und die angesagten bis zu 30 Knoten an uns vorbeiziehen lassen, aber das machte nichts! Das morgendliche Pfannkuchenfrühstück nahm schon mal die erste Hälfte des Tages ein (dies könnte auch daran gelegen haben, dass dank fehlender Pfanne die Pfannkuchen einzeln im Topf gebraten werden mussten). Es folgte zumindest bei Teilen der Crew ein ausführlicher Strand- und Küstenspaziergang. Dabei wurden wir dazu inspiriert, in den schönen Wellen am Strand ein Bad zu nehmen. Dazu konnte auch der Rest der Crew überzeugt werden und hatte großen Spaß! Heiße Schokolade half danach, wieder eine Betriebstemperatur anzunehmen und so war ein Regentag erfolgreich gemeistert. Am nächsten Morgen ging es früh los, denn wir wollten uns mit der Kuh treffen, die am Wochenende vorher in Stockholm gestartet war und nun in einem ähnlichen Bogen wie wir, bloß rückwärts, wieder nach Kiel wollte. Den Plan, uns auf Kihnu zu treffen, hatte der fehlende Segeltag am Dienstag vereitelt, deswegen war die einzige andere Möglichkeit, die bei aktuell kaum Wind erreichbar schien, Salacgriva am Festland. Das erreichten wir mit Taffi nach einem sommerlichen Treiben mit Vorlesestunden tatsächlich als erstes. Den Hafenmeister darauf vorzubereiten, dass gleich noch ein zweites Segelboot kommen würde, was einen Tiefgang von 2,70 m hat, war nicht einfach. Er versuchte, uns zu überzeugen, die Kuh könnte doch in eine der Boxen neben uns kommen, die nicht nur viel zu schmal, sondern auch, anders als in seinem Plan verzeichnet, nicht tief genug waren, das sagten zumindest unsere dann folgenden verzweifelten Lotungen. Als die Kuh schließlich einlief, ließ er sich nach einigem Hin- und Her dann aber doch davon überzeugen, sie am Fischereisteg liegen zu lassen. Dann konnte also der nette Teil des Abends beginnen, zuerst mit einer Kletter-Challenge am Vorstag (Gratulation an Linus) und anschließend einem leckeren gemeinsamen Grillen. Es war schön, nach so vielen Wochen unterwegs wieder bekannte Gesichter zu treffen und auch die Kuh weckte bei uns Heimatgefühle. Etwas wehmütig winkten wir also am nächsten Morgen nach dem gemeinsamen Frühstück zum Abschied. Doch ein herausfordernder Segeltag mit 20 Knoten Wind (immerhin von der Seite) nach Pärnu wartete auf uns, und abends schon das nächste bekannte Gesicht, weil wir dort Flora, Sophias Schwester und Lauras Cousine, mit an Bord nehmen wollten. In Pärnu erwartete uns eine große Überraschung: Der Hafen war brechend voll! Anscheinend waren alle Segler Estlands (und Lettlands und Finnlands), die etwas auf sich hielten, hier als Zwischenstopp einer Regatta zu finden. Der Hafenmeister zuckte nur hilflos mit den Achseln. Zum Glück gab es in der Nähe eine gut gefenderte Hafenwand, an der wir festmachen konnten. Ein kurzer Rundgang in die Stadt zeigte einen netten, aber sehr touristischen kleinen Ort. Abends gab es als Empfang für Flora Kantinennudeln (Tipp: die entstehen, wenn mitten beim Nudeln kochen das Gas leer ist und man sie deswegen statt zu kochen ziehen lässt). Der nächste Morgen gestaltete sich leider als etwas unschön. Die Versorgerbatterie musste ausgetauscht werden und der Ausflug zum Batterieladen und das Einbauen dauerten länger als gedacht. Nachmittags ging es dann endlich los nach Kihnu, schon wieder mit ordentlich Wind von vorne. Leider zeigte sich, dass das Vorluk Wellen von vorne nicht gewachsen war und jede Menge Salzwasser durchließ. Zu allem Überfluss mussten wir auf Kihnu in strömendem Regen und fiesen Böen anlegen, die sich kurz nach dem Festmachen in einen Regenbogen und eine Abendstille verwandelten.

Vor dem Ablegen holten wir dann noch flott unseren Landgang nach – vom Hafen aus führte ein schöner Weg durch ein Waldstück bis an die obere Inselecke. Sobald die Gegend erkundet war, konnten wir guten Gewissens lossegeln – es sollte ein spannender Segeltag vor uns liegen. Auf das schmale Fahrwasser hatten wir uns vorbereitet, überrascht wurden wir allerdings von insgesamt drei Tornados, die mit einer dunklen Front an uns vorbeizogen. Die Segel waren schnell unten, die Front abgewartet und alle Tornados vorbeigeweht. Ein Abenteuer war es in jedem Fall, und zu den darauffolgenden Opfern an Bonku gehörte von da an zumindest ein stilles „und bitte keine Tornados!“. Schön war, dass wir nicht alleine durch das Unwetter segelten, wir waren in guter Begleitung von einem anderen Segler, der nicht allzu fern neben uns abwartet, bis auch er die Segel wieder setzte.

Unseren Zielhafen Varbla hatten wir im Hafenhandbuch entdeckt und daraus ausgesucht, wir suchten ihn dann allerdings vergeblich in den Karten (wo er wirklich gar nicht zu finden war) – im Tablet fanden wir ihn, aber unter anderem Namen. Allerdings war der Hafenmeister telephonisch gut zu erreichen, und so konnten wir die Betonnung der Hafeneinfahrt sowie alle Tiefen im Vorfeld absprechen und Varbla anlaufen. Noch in Ölzeug spazierten wir dort dann die Küste ab, pflückten uns einen Blumenstrauß und genossen die schöne Abendstimmung. Ein hübscher Hafen, allerdings (bestimmt, weil er so neu war) auch recht teuer und noch etwas leblos.

Von Varbla aus ging es im langen Segelschlag nach Heltermaa. Wir hatten ordentlich Welle und eine Kreuz, es war ein insgesamt recht nasser und auch kalter Tag. Das Wasser konnte uns natürlich nichts anhaben, unglücklicherweise beschloss es aber auch ins Vorschiff zu laufen und unsere Koje zu durchnässen! Das Luk schloss nicht mehr richtig, was wir im Verlauf der nächsten Tage zunächst provisorisch mit einem Abbacklappen und dann vernünftig mit festgezogenen Schrauben zu ändern wussten.

Spannend auf dem Schlag war die Navigation, es mischten sich die ersten Inseln unter und machten die Kurse etwas abwechslungsreicher. In Heltermaa angekommen fanden wir uns in einem kleinen Hafen mit Steinmole wieder, auf der wir am nächsten Morgen unser Müsli aßen. Von dort aus schauten wir in die schöne grüne Landschaft, die im Kontrast zum ziemlich heruntergekommenen Fähranleger auf der anderen Seite stand – er erinnerte an eine Autobahnraststätte und gefiel uns entsprechend.

Gerne legten wir am nächsten Tag also ab, dümpelten bei wenig Wind Richtung Sviby und legten auf dem Weg eine ausgiebige Badepause ein. Nicht weit entfernt führte das Fahrwasser der Fähren längs, die, vom Wind unabhängiger als wir, immer wieder an uns vorbeifuhren. Im Hafen war es dann doch recht windig, wir suchten also ein bisschen, um einen windgeschützten Grillplatz zu finden.

Direkt beim Hafen war ein rotes Holzhaus, an dem unser Landgang am nächsten Morgen vorbeiführte. Zu dem Haus gehörte wohl ein Hund, der uns an der Straße schwanzwedelnd begrüßte und uns unseren gesamten Spaziergang lang begleitetet. Er war im Herzen schon Crewmitglied, wir überlegten ziemlich schnell, ob Hunde wohl seekrank werden und wie lang unsere Schläge von nun an wohl werden dürften. Der Hund, er hörte auf Alfried (wir hatten sämtliche Bootsname durchprobiert) machte alles brav mit, bog letztendlich aber kurz vor dem Hafen ab und verabschiedete sich auf einen Sonnenplatz.

So ging es also doch zu fünft weiter, wieder mit wenig Wind, weshalb wir in der Flaute bald begannen, unser Frühstück an Deck vorzubereiten. Wir standen fast in der Flaute, genossen den Sonnenschein und unserer Marmeladenbrote – als plötzlich wieder ein Tornado recht voraus zu erkennen war! Wir waren ja nun schon eingespielt und hatten die Segel schnell unten. Nicht lange auf sich warten ließ dann ein Winddreher und das Auffrischen eben diesens, weshalb wir herrlich bis Dirhami segelten. Dort kühlten wir uns schnell mit einem Bad und einem wabbeligen Eis aus dem winzigen Laden ab. Beim Baden musste man allerdings aufpassen, sich nicht die Knie an plötzlich auftauchenden Steinen zu stoßen! Den abendlichen Sonnenuntergang betrachteten wir dann bei einem Picknick am Strand.

Ja, und dann kam der Wind, der uns eine ungemütliche Nacht bereitet sollte. Der auflandige Wind hatte es irgendwie geschafft, eine so ordentliche Welle in die eigentlich parallel zum Land liegende Mole und Hafeneinfahrt zu pusten, dass alles schaukelte. Wir wurden fast seekrank – und das im Hafenbecken. Erstmal in der Koje kann man sich an das Hin und Her ja gewöhnen, aber wir schliefen alle unruhig - einerseits wegen des ständigen Knarzens der Klampen, an denen die Festmacherleinen zogen und zerrten, und andererseits (bestimmt durch die Geräusche verstärkt) in der Sorge, dass Taffi doch noch losgerissen wird. Erschreckenderweise passierte genau das. Sophia kontrollierte die Leinen im Zweistundentakt, und bemerkte so zum Glück (und bevor größerer Schaden entstehen konnte), dass sich die Achterleine am Stein der Kaimauer kaputtgescheuert hatte, an der wir längsseits festgemacht waren.

Am frühen Morgen hieß dann „Nichts wie weg!“, und zügig Richtung Tallinn. Jetzt genossen wir den Wind, der von hinten kam und uns durch die Inshore-Traffic-Zone kreuzen ließ. Die Hafeneinfahrt war mit riesigen Kreuzfahrtschiffen bestückt, an denen wir vorbei und bis zu einer Klappbrücke mussten. Die war leider gerade zu, und hinter uns tummelten sich nach und nach immer mehr Segler und Motorboote, die auch noch in den Hafen wollten, der schon ziemlich vollgepackt aussah. Dass wir schon gerne einen Liegeplatz haben wollte, kann sich die geneigte Leserschaft sicherlich vorstellen! Und so war dann klar, dass das Ablegen vor der Brücke und das darauf folgende „Als-Erste-in-der-Warteschlange-sein“ schnell funktionieren musste.

Hat natürlich geklappt, und so hatten wir schnell in Tallin festgemacht, spazierten abends durch die menschen- (und vor allem touristenleere, die waren alle schon wieder auf den Kreuzfahrtschiffen) Altstadt. Es gab Pizza mit Blick über die Dächer von Tallinn.

Den Hafentag nutzen wir bei schönstem Sonnenschein mit einem langen Spaziergang durch die mittelalterliche Altstadt, und einen langem Schlenker durch ein Viertel voller hübscher Holzvillen bis zum Schloss Kardriog. In dessen Parkanlage legten wir eine Pause zum Postkartenschreiben ein, die von klassischen Klängen untermalt wurde – dort fand gerade eine Open-Air-Oper statt.

Unsere Hafennachbarn kamen aus einem Hafen nah bei Helsinki, und weil sie zeitgleich mit uns ablegen wollten, war eine Regatta schnell vereinbart. Die entschieden wir allerdings für uns sobald wir den Spi gesetzt hatten (damit konnten sie nämlich nicht dienen) und so zogen wir dann ab Richtung Helsinki und dem Ende der dritten Etappe entgegen.

Mittags fanden wir uns dann in der Flaute wieder, und hatten so genug Zeit, um ein, wie wir später herausfinden sollten, russisches U-Boot zu beobachten, das quer vor und längsfuhr. Wieder einmal wurde uns bewusst, wie nah wir hier dem Krieg sind; die große Teilnahme und Solidarität, die bisher alle baltischen Länder zeigten, war uns zuletzt in Tallinn aufgefallen, wo vor der russischen Botschaft Plakate und Photos angebracht worden waren. Dieser Krieg, der ja die ganze Welt beschäftigt und beeinflusst, ist hier umso präsenter und begleitet auch jede Etappe unserer Reise.

Die Einfahrt nach Helsinki war so schön, dass wir schnell auf andere Gedanken kamen. Es war ganz neblig geworden, nach und nach tauchten Schären auf, an der Festung sind wir vorbeigesegelt, bis sich dann die Dächer Helsinkis vor uns auftaten. Im Hafen selbst klarte es sich dann aber doch auf, so konnten wir unseren Anleger-Cider im Sonnenuntergang genießen. Abends machten wir es uns unter Deck gemütlich, der letzte Abend in dieser Crew wurde mit dem Film zum Buch abgeschlossen, das wir uns in den letzten Wochen gegenseitig vorgelesen hatten.

Sonntags wurde klar Schiff gemacht, damit Lara Tenbrink und Lara Völmicke ordentlich empfangen werden konnten. In Helsinki fand dann nämlich ein Crewwechsel statt – Flora, Merle und Rosa reisten ab, von nun an sollte es wieder zu viert weitergehen.

Was wir in den Schären dann erleben, wird es hier zu lesen geben!

Text: Laura und Sophia Groninger

Fotos: Merle Sophie Rickers