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Sturmflut - Bericht von Bord der ROCOCO

Kiel Düsternbrook: Spätestens am Donnerstagabend dem 19. Oktober ist klar, dass der deutschen Ostseeküste eine Jahrhundertsturmflut bevorsteht, und ich entscheide mich spontan, das sichere Land gegen ein paar Sturmtage an Bord einzutauschen und dort „Leinenwache“ zu gehen.

Das heißt, vom Büro kurz zu Hause vorbei und die notwendigsten Dinge für zwei Tage an Bord zusammensuchen. Warmer Schlafsack, Essen und Gummistiefel, um noch an Bord zu kommen. Ich packe sicherheitshalber noch eine kurze Hose ein, falls das Wasser schon höher stehen sollte
In Düsternbrook erwarten mich bereits 15cm Wasser auf den Stegen, so dass ich mit den Gummistiefeln gerade noch trockenen Fußes an Bord komme. Später sehe ich noch den einen oder anderen Bootsbesitzer in Unterhose über die Stege hasten. Es sind nur noch weniger als ein Viertel der Liegeplätze beleget, da viele Boote bereits im Winterlager sind. Neben mir liegt ein mir unbekanntes Boot, die Stahlyacht des ehemaligen Leiters der Yachtschule Martin Friedrichs, einigen auch bekannt als Skipper des Seglers Dagmar Aaen, mit der Arwed Fuchs einige Reisen in die Arktis unternommen hat. Martin will ebenfalls an Bord seiner Yacht bleiben. Ein beruhigendes Gefühl, einen so erfahrenen Segler in den kommenden Stunden „an seiner Seite“ zu haben.
In Vorbereitung des Sturms bringen wir ein paar zusätzliche Leinen aus. Die Festmacherklampen am Steg sind bereits jetzt unter Wasser, so dass man dort in den nächsten Stunden nur noch schwer die Leinen fieren kann. Das lose Ende kommt also zum Großteil an Bord. Zudem bringen wir noch ein paar Leinen auf die schweren Metallösen oben auf der Spundwand aus, da hier später der Winkel nicht so steil sein wird. Doppelte Festmacher auf den Pollern vorne mit laufendem Palstek unterhalb der Leinenhaken, damit diese bei Hochwasser nicht hochrutschen können. Zudem baue ich das Landstromkabel an und führe es über den Laternenpfahl an Bord, damit es nicht im Wasser hängt. Keine Ahnung, ob hier irgendwann die Sicherung rausspringt, wenn das alles unter Wasser steht.
Der Hafenmeister Andreas Stranghöner legt sein Motorboot unterhalb seines Büros längsseits und bleibt über Nacht ebenfalls an Bord. An dieser Stelle ein großes Dankeschön an die Mannschaft der Sporthafen Kiel GmbH!
Jetzt ist alles vorbereitet und die Flut kann kommen. Ich setzt noch einen Brötchenteig an und gehe in die Koje, aber nicht ohne mir den Wecker für eine nächtliche Kontrolle zu stellen. Nachts um 0300 scheucht mich dieser hoch und ich werfe einen prüfenden Blick in die Runde.
Der Wasserstand ist jetzt bereits bei 1,25m - noch kein kritischer Wert. Doch das Bild von Möwen, die im Schein der Stegbeleuchtung auf den Stegen schwimmen, ist ungewöhnlich. Die Poller schauen noch gut einen halben Meter aus dem Wasser. Laut Modell soll es noch weitere 50cm steigen. Ich lege mich wieder hin.
Der Freitag beginnt mit Boat Office – WLAN funktioniert, Landstrom läuft auch noch, so dass ich recht bequem vor Bord aus arbeiten kann. Um 1030 hat das Wasser die Leinenhaken an den Pollern erreicht. Diese hindern die Vorleinen wie geplant daran, am Poller nach oben zu rutschen. Ich bin froh, dass die Poller nur die Leeleinen halten müssen. Der Ostwind hat mittlerweile aufgefrischt und ich messe regelmäßig Böen über 30kn. Entgegen der Vorhersage hat er eine leicht nördliche Komponente, was mich etwas beunruhigt, da dann noch mehr Wasser in die Förde gedrückt wird und bei NNE sogar die Gefahr von starkem Seegang bestünde. Das erinnert mich an den Auguststurm 1989, als u.a. die Zukunft II an der Spundwand im Millionenbecken zerrieben wurde. Unter Deck ist es dagegen sehr gemütlich, der Duft der frisch gebackenen Brötchen und die laufende Heizung sorgen für eine behagliche Atmosphäre.
Der Nachmittag geht in den Abend über und die Situation wird langsam kritischer. Um 1700 steht das Wasser bereits bei 1,65m und ich messe regelmäßig Böen über 40kn. Die Poller schauen noch ca. 20cm aus dem Wasser, die Vorleinen verschwinden unter der Wasseroberfläche und auch die Spundwand wird regelmäßig von Wellen überspült. Die Modellprognose läuft mittlerweile dem gemessenen Wasserstand um 30cm hinterher. Das verheißt nichts Gutes für den Wasserhöchststand. Die DFDS-Fähre am Ostufer läuft nur noch mit Schlepperhilfe ein.
Gegen 1900 sind wir laut Modell beim Hochwasser angekommen. Das scheint aber die Realität nur bedingt zu beeindrucken. Das Wasser steigt hier noch weiter. Mittlerweile misst der Pegel in Holtenau 1,80m. Hier im Becken 2 scheint es bisher keine sichtbaren Havarien gegeben zu haben. Nur die Lampen auf dem Außensteg leuchten nicht mehr. Aber der Landstrom funktioniert auf wundersame Weise noch. Während ich versuche, die Situation an Bord der ROCOCO zu managen, erreichen mich besorgniserregende Nachrichten von gesunkenen Yachten in anderen Häfen, insbesondere in Schilksee. Bremen Rescue kann mittlerweile bei Mayday-Rufen aus Häfen von losgerissenen Booten nicht mehr helfen, wie ich es gerade live auf VHF16 bei einem Boot aus Damp miterleben muss.
Um 2215 hat der Wasserstand mit ca. 1,95m seinen Höchststand erreicht. Ich liege mit dem Heck zur Außenmole und in Windrichtung, was das Anbordkommen bei Hochwasser deutlich vereinfacht. Als ich jetzt allerdings das Schiebeluk öffne und nach draußen schaue, erwischt mich voll eine Welle, die sich gerade an der knapp überspülten Kaimauer gebrochen hat. Schöne Seewasserdusche. Auch die Poller werden jetzt zeitweise überspült. Ganz allmählich scheint nun der Wind aber abzuflauen. Nachdem ich noch eine prüfende Runde an Deck und an den Festmachern gedreht habe, gehe ich in die Koje und werde nachts noch einmal die Lage peilen.
Samstagmorgen 0115. Das Wasser ist auf 1,85m gesunken und der Wind hat auf ca. 4 Bft abgenommen. Im Hafen ist somit auch kaum noch Seegang. Soweit ich das in der Dunkelheit sehen kann, ist es hier zu keinen Schäden gekommen und ich kann auch keine losgerissenen Boote erkennen. Die Anspannung lässt allmählich nach. Jetzt geht es wohl nur noch ums Aufräumen und Dichtnehmen der Festmacher, wenn das Wasser weiter sinkt.
Um 0900 ist der Wasserstand auf 1,30m zurückgegangen und sinkt schnell weiter. Der Spuk ist vorbei. Wind ESE 2 Bft und das Wasser sinkt schnell. Zeit für eine kurze Bestandsaufnahme. Unser Sporthafen Düsternbrook hat den Sturmflutereignissen besser standgehalten hat als einige andere Häfen in der Region. Wir scheinen wir ganz glimpflich davongekommen zu sein. Während in den Häfen der Außenförde in Strande und insbesondere Schilksee zum Hochwasser auch die ungebremsten Wellen aus Ost auf die Schiffe trafen, waren es hier „nur“ das Hochwasser und Orkanböen. Die eine oder andere Vorleine hatte sich von den Pollern gelöst, die für Wasserstände von 2m über N.N. nicht ausgelegt sind. Sichtbare Schäden konnte ich von meinem Platz nicht beobachten. Im Raum der Yachtschule des Kieler Yacht-Club e.V. stieg heute Nacht das Wasser aus dem Gulli. 

 

Draußen in Schilksee und Strande ging viel zu Bruch und es sind viele Boote gesunken. Das Ausmaß der Schäden wird erst in den kommenden Tagen klar werden. Beschädigte und gesunkene Boote, schwere Schäden an Stegen und Kaianlagen. Aber hier in Kiel zum Glück keine schweren Personenschäden.
Vielen Dank an alle, die aufeinander aufgepasst oder von zu Hause an uns gedacht haben.