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Opti – Olympia – Offshore: Sanni auf Kurs Vendée Globe

Kiel. Sie wartet nicht auf eine Chance. Sie schafft sie sich. Das hat die gebürtige Stranderin Susann – „Sanni“ – Beucke schon oft unter Beweis gestellt. Wenn es eine Frau als erste Deutsche schaffen kann, beim Vendée Globe, der härtesten Einhandregatta der Welt, am den Start zu gehen, dann ist sie es. Das wissen wir, als wir am späten Freitagabend das Haus des Sports in Kiel verlassen.

Alles auf Start? Susann - Sanni - Beucke und Jan Stargardt treffen letzte Vorbereitungen für den Schiffertisch (c) Ulf Petersen/ KYC

Olympia: Sie haben es geschafft. Tina Lutz und Sanni holen Silber im 49er FX. (c) Sailing Energy/ World Sailing

The Ocean Race: Sanni mit "ihrer" Crew in Kapstadt nach dem Etappensieg. (c) Sailing Energy

Solitaire du Figaro: Sanni nimmt die französische Reifeprüfung für Einhandsegler (c) Felix Diemer

"This Race is Female": Sanni auf dem Figaro (c) Felix Diemer

Gebanntes Lauschen im Hans-Hansen-Saal im Haus des Sports (c) Carina Wegner/ KYC

Autogrammjäger: Willkommen! (c) Heiner Kramer/ KYC

Wasser. Wellen. Wackeln. Der Geruch nach Gummi und Chlor. Auf einer Rettungsinsel beginnt die Geschichte dieses Abends. Beim Hochseeüberlebenstraining hat Organisator Heiner Kramer sie gefragt. Jetzt hat es endlich geklappt: Sanni Beucke ist wieder in Kiel, zu Gast beim Schiffertisch.
„This Race is Female“. So einfach der Kampagnenname, so wendungsreich der Weg zum Ziel. Nicht umsonst trägt ihr 2024 erschienenes Buch den Titel „Gegen den Wind“. Im Haus des Sports stellt die 34-jährige Seglerin sich den Fragen von Jan Stargardt, neues Mitglied des Fahrtenausschusses, und Heiner Kramer.

„Mama, wir üben gerade rückwärts segeln. Dabei kann ich doch noch nicht einmal vorwärts segeln!“ – erinnert sich die Skipperin lächelnd an ihre Anfänge im J&R-Opti. Auf dem Familienboot „Hexe“ hat sie früh das Bordleben lieben gelernt. In Zweierbooten segelte sie sich mit viel „Quatsch“ und Spaß frei. Ellen MacArthurs Autobiographie begeisterte dann die junge Susann, die schon da beschloss: „Ich will um die Welt segeln. Allein!“

Ein (fast) unmögliches Team
Doch zunächst fasziniert die heranwachsende Norddeutsche etwas anderes. Sie will zu den Jugendweltmeisterschaften im 29er. Aber mit wem? Sie braucht eine starke Segelpartnerin! Die „Yacht“ berichtet über Tina Lutz vom Chiemseer Yacht-Club, die die erste deutsche WM-Medaille im Opti gewonnen hatte. Das wäre doch was!
Sanni setzt alle Hebel in Bewegung – und bittet die Seglerin vom anderen Ende der Republik zum Probetraining. Am Valentinstag 2007 treffen die beiden erstmals aufeinander – und sind von nun an ein Team - für die nächsten 14 Jahre. 
An den Wochenenden trainieren sie zusammen, werden im selben Jahr Junioren-Europameisterinnen im 420er. Entscheidend wird dann ein IOC-Beschluss: 2016 wird der 49er FX olympisch. Ein Durchbruch für die speedfreudigen Seglerinnen! Sanni und Tina steigen in die schnelle Skiffklasse, holen 2017 gleich den Europameistertitel. 

Der Pakt
2019 schließen sie einen Pakt: Sie stellen alles ins Zeichen des großen Ziels, geben ihrem Leben eine Richtung: Tokio 2020.
Sie „norden“ sich mental ein, visualisieren diesen großen, starken Moment, in dem sie unter den olympischen Ringen auf dem Treppchen stehen, die schwere Medaille um den Hals. 
In ihrem Buch beschreibt Sanni den Masterplan im Detail. „Das Problem an jedem großen Ziel ist: Der Weg dorthin geht nie geradeaus. Wer segelt, weiß, dass man immer kreuzen muss, um voranzukommen. Beim Leistungssport ist das ähnlich“, heißt es dort. 
Im Haus des Sports erzählt sie lebendig von den Wendemarken: Als Olympia in erreichbare Nähe rückt, findet sich die Sportwelt in der Ungewissheit der Corona-Pandemie wieder. Die Seglerinnen bleiben am Ball. 

„Verletzt euch nicht!“
Eine von drei Qualifikationsregatten für Tokio 2020 haben sie schon gemeistert. „Für euch ist jetzt alles möglich! Spürt ihr das? Aber passt auf euch auf! Tut nichts Unüberlegtes. Verletzt euch nicht“, warnt ihr Trainer. – Und dann passiert es, das erste Mal in ihrer gemeinsamen Zeit: Silvester verletzt sich Sanni, bricht sich im Training das Wadenbein. Und es sind nur noch wenige Wochen bis zur zweiten von drei Qualifikationsetappen. - Unmöglich, so kurzfristig wieder wettkampffähig zu werden! 
Platzt damit der Traum von Olympia? Unerwartet kommt Hilfe aus dem Kieler Freundeskreis: Lotta Wiemers bietet nach zwei Jahren Segelpause ein, für die Quali einzuspringen. Die bürokratischen und sportlichen Hürden erscheinen zunächst unüberwindbar. Doch sie schaffen es! Lotta darf starten, baut innerhalb kürzester Zeit Fitness und das passende „Kampfgewicht“ auf – und nimmt mit Tina erfolgreich die zweite Etappe auf dem Weg gen Tokio.
Auf der Kieler Woche machen Tina und Sanni nun wieder gemeinsam die Qualifikation komplett. – Sekt, Champagner und überall lachende Gesichter: Was für eine Feier im Strander Hafen! Am nächsten Tag holen sie den Kieler Woche-Sieg.

Am Ziel
Im Juli 2021 ist es endlich geschafft: Sanni und Tina gehen vor Tokio an den Start – und holen Silber. Die Jahre des Einsatzes haben sich gelohnt!

In Strande lässt der Kieler Yacht-Club seine Olympioniken hochleben. Schon hier weiß Sanni: „Offshore“ soll es nun weiter gehen. Schnell packt sie ihre Koffer. Gemeinsam mit Boris Herrmann fährt sie nach Lorient. Im Mekka der Offshore-Segler widmet sie sich ganz ihrem neuen Traum. Kein Jahr nach Olympia startet sie bei der 53. „Solitaire du Figaro“, der französischen Reifeprüfung für Einhandsegler. 

Endlich allein! 
Mit einem Mal entscheidet nicht der halbe Millimeter Masttrimm, der perfekte Start. In der Keltischen See und der Biskaya sind die Seglerinnen und Segler der Figaro-Klasse über Tage auf sich gestellt. Sie setzen den Kurs, planen mit Wind und Wellen, immer das Boot im Blick.
Ein meilenweiter Unterschied zum olympischen Segeln! – „Circa 90 Prozent musste ich neu lernen“, erzählt die sympathische Stranderin.
Sie beißt sich auch hier durch, perfektioniert den Umgang mit dem 9-Meter-Boot, lernt mit minimalem Schlaf – „Nach 20 Minuten falle ich in den Tiefschlaf. Davor geht der Wecker!“ -, Astronautennahrung und co auszukommen. In drei Etappen legt sie die nominell 1.979 Seemeilen zurück, erreicht am 8. September das Ziel vor Saint-Nazaire.

Kurs: Vendée Globe 2028
Eine Rosskur? „Ich kann das jetzt“, lächelt Sanni überzeugt. Die Lust am Segeln hat sie darüber nicht verloren. Im Gegenteil! Ihr nächstes großes Ziel: „Ich will als erste deutsche Frau beim Vendée Globe segeln.“
Wenn es nach ihr geht, ist sie 2028 an der Startlinie in Les Sables d’Olonne. „Ich war letzte Woche da und habe Justine Mettreaux [die schnellste Frau des diesjährigen Vendée Globe -Anm. d. Red.] einlaufen sehen. Was für eine Stimmung!“ - Ein Bild, dass Sanni sicher gut in ihre nächste Visualisierung einbinden kann.

Dass sie auch Imoca segeln kann, hat sie nicht zuletzt bei The Ocean Race 2023 bewiesen. 
Und im Vergleich zur Figaro-Klasse erscheinen die Imoca-Racer beim Vendée Globe beinahe komfortabel: 
„Boris konnte bei der Vendée Globe ja auf seine Shore-Crew zählen, die ihm auch detaillierte Tipps für Reparaturen gegeben haben. Hattest du so was auch bei der Solitaire du Figaro?“ – kommt die Frage aus dem Publikum. „Nein“, berichtet Sanni: Am Start werden die Prepaid-Karten abgegeben. Jeglicher Kontakt an Land ist verboten. Nur unter den Wettstreitenden darf gefunkt werden – wenn alle zuhören können. Den Wetterbericht liefert die Wettfahrtleitung.– „Und der ist meist falsch“, grinst die Skipperin wissend
Es wacht auch kein „Oscar“ über den Kurs der Figaros. Das einzige Tool zur Kollisionsverhütung ist AIS-basiert. „Und damit das ausschlägt, muss AIS nicht nur an Bord, sondern auch angeschaltet sein!“ erzählt die sportliche junge Frau. 
Wer die Weltumsegler in den (sozialen) Medien verfolgt hat, will auch ihr hier gern über die Schulter schauen. Aber: „Wir haben kaum die Chance, etwas zu drehen: Es ist zu viel los!“ 

So wundert nicht, was Sanni auf die Frage zum „Warum Offshore? Warum Vendée Globe?“ mit leuchtenden Augen antwortet: Sie lockt „das Abenteuer.“


Text: Carina Wegner