Die Vermutung, dass die Weltmeisterschaft für Heiko Kröger (Norddeutscher Regatta Verein), den 15-fachen Kieler-Woche-Sieger der Klasse 2.4mR, eine Art Heimspiel werden würde, lag nahe, und die Qualifikationsrennen haben es klar bestätigt. Nur bei zwei von sechs Rennen überquerte Kröger die Ziellinie nicht als Erster, eines davon ist sein Streichergebnis. Mit klarem Abstand führt er das Feld aktuell an und nimmt Kurs auf seinen nächsten WM-Titel, der sein dritter in der Offenen Klasse und sein zwölfter bei einer Para-Weltmeisterschaft wäre. „Ich habe dieses Jahr noch nicht bei wenig Wind Regatten gesegelt, und in Kombination mit Wellen gibt es das in Kiel auch selten. So war der erste Tag mit Schwachwind spannend zu segeln. Ich bin recht schadlos durch die Serie gekommen, aber die Bedingungen waren gestern schwierig mit wenig Wind und mehr Drehern. Das machte es schwer, alles zu kontrollieren“, resümierte Kröger die ersten zwei Regattatage.
Wie groß der Respekt vor Krögers seglerischer Leistung innerhalb der Klasse ist, wird im Gespräch mit anderen Seglern schnell deutlich. Wer vor ihm über die Ziellinie segelt, fühlt sich automatisch als Sieger, selbst wenn der Erste ein anderer ist. „Ich habe mein Ziel bei der WM schon erreicht: Im sechsten Rennen war ich vor Heiko im Ziel und war Zweiter. Das ist ein toller Tag, wenn man das schafft“, sagte der kanadische Para-Segler Bruce Millar nach der Qualifikationsserie.
Dass die Weltmeisterschaft ausgerechnet in Kiel ausgetragen wird, hat für den Kanadier aus Victoria in British Columbia eine ganz besondere Bedeutung. Vor genau 20 Jahren hat er sich bei der Kieler Woche im 2.4mR für die Paralympischen Spiele in Athen qualifiziert, wo er erstmals gegen Heiko Kröger segelte. Für Millar folgten eine weitere Paralympics-Teilnahmen 2012 in London in der Bootsklasse Sonar und 2016 in Rio de Janeiro in der 2.4mR-Klasse.
Aufgrund der weiten Anreise aus Westkanada musste er für die WM ein wenig improvisieren. „Wir haben das Boot quasi im Koffer mitgebracht. Alle Funktionsteile wie die Steuerung, der Sitz und auch die Klampen sind von meinem eigenen Boot in Kanada. Weil ich in das geliehene Boot keine Löcher bohren konnte, habe ich zu Hause spezielle Metallteile angefertigt, die ich an den vorhandenen Löchern anbringen kann für meine Klampen und Leinen. So habe ich exakt dieselbe Übersetzung wie bei meinem eigenen 2.4mR. Im Practice Race hat alles gleich gut funktioniert, darüber bin ich sehr froh. Das Boot macht seinen Job, nun ist es an mir, das auch zu tun“, erklärte Millar vor dem ersten Start. Was das Segeln in der 2.4mR-Klasse für ihn ausmacht, fasst er in wenigen Sätzen zusammen: „Das 2.4mR-Boot ist ein großartiger Ausgleicher. Sobald man im Boot sitzt, sind alle gleich und keiner erkennt mehr, ob jemand Para-Segler ist oder nicht. Nur das seglerische Können zählt“, so Millar.
Mit Platz vier in der Para-Wertung nach der Qualifikationsserie scheint eine Medaille für ihn in greifbarer Nähe zu sein. Allerdings müsste er es zuvor mit zwei Paralympics-Kollegen aus Italien aufnehmen: Antonio Squizzato und Davide di Maria. „Es war gestern nicht schlecht, aber schwierig und mit Winddrehern. Leider habe ich ein paar Fehler gemacht“, kommentierte der Italiener Squizzato seine Leistung am zweiten Wettfahrttag. Trotz seiner eigenen Einschätzung ist mit dem Segler vom Gardasee durchaus noch beim Kampf um die vorderen Plätze zu rechnen. Im vergangenen Jahr gelang ihm der Kieler-Woche-Sieg vor Heiko Kröger. In der Para-Wertung liegt er momentan auf Platz zwei und in der Offenen Weltmeisterschaft auf Rang fünf.
Platz drei der Offenen Klasse hat sich zu seiner eigenen Überraschung Christoph Trömer aus Mecklenburg-Vorpommern gesichert: „Ich kann es gar nicht fassen, dass es so gut läuft. Mir liegt es einfach, wenn wenig Wind ist. Heute hatte ich sogar die Chance in einem Rennen Megan Pascoe zu schlagen. Das war ein harter, schöner Kampf und hat Spaß gemacht.“ Pascoe hat bei der WM bislang Rang zwei abonniert und freut sich, dass die Rennen für sie gut laufen, hofft allerdings, sich in der Goldflotte noch ein wenig mehr mit Heiko Kröger battlen zu können.
Nicht nur die Seglerinnen und Segler sind zufrieden mit dem bisherigen Verlauf der Weltmeisterschaft, sondern auch der Oberste Wettfahrtleiter Stephan Giesen. „Angesichts der Windvorhersagen hätte ich nicht damit gerechnet, dass wir in den ersten zwei Tagen schon sechs Rennen durchbekommen“, freut er sich. Er lobt die gute Startdisziplin der Aktiven. Gestern kam die Freude hinzu, dass bereits sechs Rennen und damit ausreichend für eine Weltmeisterschaftswertung verbucht werden konnten. Ich bin sehr zufrieden mit der WM und natürlich auch mit meinem Team“, sagte Giesen, der auch Sportdirektor der deutschen 2.4mR Klassenvereinigung ist und im Vorfeld die WM in Kiel mit angestoßen hat. „In Deutschland haben wir weltweit die größte 2.4mR-Gemeinde. Da war die Weltmeisterschaft hierzulande lange überfällig“, findet er. Bei der letzten WM der Klasse 2003 in Eckernförde ist Giesen selbst mitgesegelt und war vor Heiko Kröger bester Deutscher. Natürlich würde er auch diesmal gerne teilnehmen, aber es sei genauso schön etwas für seine Klasse zu tun, sagt er. Erfreulich sei, dass bei der WM auch etliche jüngere Seglerinnen und Segler teilnehmen.
Dazu gehört zum Beispiel Schwedin Fia Fjelddahl, Paralympics-Teilnehmerin von 2016 und derzeit fünfte in der Para-Wertung. Eine Platzierung in den Top Ten bei der Offenen Weltmeisterschaft und in den Top Five bei der Para-WM ist ihr Ziel in Kiel. Als Maskottchen hat sie ihr Seifenblasen versprühendes Einhorn „Pelle“ mit an Bord, mit dem sie in den Rennpausen für gute Laune sorgt. Sie hofft, dass sich noch mehr junge Frauen für die 2.4mR-Klasse entscheiden: „Es ist nicht nur ein Boot für ältere Männer, sondern auch super für junge Leute und Frauen geeignet und spannend zu segeln.“ Auch Heiko Kröger als internationaler Klassenboss hofft, dass sich die Klasse etwas verjüngt, damit sie langfristig erhalten bleibt.
Jüngster Teilnehmer der WM ist der 14-jährige Maxi Grupe, der seit einem Jahr im 2.4mR-Kielboot segelt und gemeinsam mit seinem Vater teilnimmt. „Ich finde es eine tolle Vorbereitung, um später auch größere Kielboote zu segeln“, sagt der Bayer. Dass Alter kein limitierender Faktor in der Klasse 2.4mR ist, zeigt wiederum die Tatsache, dass die ältesten Teilnehmer der WM gut 70 Jahre älter sind als Grupe. Einer von ihnen ist Heiner Forstmann (Jahrgang 1942), der in seiner Segelkarriere bereits in etlichen Bootsklassen an den Start gegangen ist und Anfang der Siebzigerjahre Sparringspartner des erfolgreichen Flying-Dutchman-Seglers Ulli Libor war. „Ich muss mir beim Segeln nichts mehr beweisen, es soll Spaß machen. Dafür, dass ich dieses Jahr erst fünfmal gesegelt bin, weil ich viel als Wettfahrtleiter oder Vermesser unterwegs bin, läuft es ganz gut. Scheinbar habe ich nicht alles verlernt“, sagt Forstmann, der nach den Qualifikationsrennen auf Rang 41 liegt und ab heute in der Goldflotte mitsegelt.
Das erste Rennen ist heute um 11 Uhr geplant. Weitere Wettfahrten folgen ab Samstagvormittag, 3. August, wo die letzte Startmöglichkeit um 14 Uhr ist. Danach schließt sich die Siegerehrung in der Schilkseer Vaasahalle an.
Text: Katrin Heidemann